Neusüdende Nicole Hißner liebt das Autofahren. Dass die 44-Jährige heute am Steuer sitzen kann, ist aber nicht selbstverständlich. Sie war schon 27, als sie bei den ersten Fahrlehrern auf der Matte stand. „Leute wie sie im Straßenverkehr, das geht gar nicht“, habe sie da zu hören bekommen. Erst bei der dritten Fahrschule wurde sie angenommen.
Nicole Hißner leidet an Arthrogryposis multiplex congenita, einer angeborenen Gelenksteife. Arme und Beine kann sie nicht wie ein gesunder Mensch bewegen, an Autofahren ist da erst recht nicht zu denken. Dass sie heute trotzdem mit dem Auto zur Arbeit, zum Einkaufen oder zu Freunden fahren kann, verdankt sie Andreas Prause.
„Wir haben ihr Auto komplett für ihre Bedürfnisse umgebaut“, sagt der Chef der Firma Behinderten-Automobile in Neusüdende. Nicole Hißner steht in der Werkstatt im Gewerbegebiet Klein Feldhus, ihre Familie ist mitkommen, als die 44-Jährige dort am vergangenen Freitag ihren neuen Opel Zafira abholt.
„Das ist eine ganz neue Freiheit“, sagt die zweifache Mutter strahlend nach dem ersten Probesitzen. Schon das Einsteigen in den Wagen ist für sie eine körperliche Herausforderung. „Erst das rechte Bein, dann den Kopf, danach den Mors und dann das linke Bein“, erklärt die Frau aus der Nähe von Schiffdorf (Landkreis Cuxhaven), als sie ihren steifen Körper in das Auto wuchtet.
„Allein der technische Umbau hat fünf Monate gedauert“, sagt Prause. Das Auto wurde komplett zerlegt und neu konfiguriert, in enger Zusammenarbeit mit dem TÜV. Auch die Großkundenbetreuung von Opel kam nach Neusüdende, um den Umbau zu überprüfen. Schließlich veränderte Prause den Zafira grundlegend.
Umbau kostet viel Geld
90 000 Euro kostete der Umbau, ohne das Auto. Einen Großteil habe die BfA in Berlin übernommen, sagt Nicole Hißner und fügt hinzu: „18 000 Euro musste ich dazu zahlen.“ Rund 100 Kilometer fährt die Sozialpädagogin jeden Tag, die beim Magistrat Bremerhaven beschäftigt ist und auch im Außendienst arbeitet.
Weil ihre Arme und Beine steif sind, kann die 44-Jährige ihr Auto nicht so lenken, wie körperlich gesunde Menschen es können. Zwischen den beiden Vordersitzen hat Prause deshalb einen Bedienhebel eingebaut, mit dem Nicole Hißner ihr Auto steuern kann. Das funktioniert ein bisschen wie bei einem Joystick am Computer, nur dass dieser nicht mit der Hand, sondern mit dem Arm bewegt wird.
Lenken mit einem Hebel
„Drückt man den Hebel nach vorne, bewegt sich das Lenkrad nach links, drückt man den Hebel nach hinten, bewegt sich das Lenkrad nach rechts“, erklärt Prause. Und so kann man tatsächlich fahren? „Ich finde das viel sicherer“, sagt Nicole Hißner. Fürs Einparken habe sie auf der Arbeit sogar schon Applaus von ihren Kollegen bekommen.
Der Bedienhebel ist natürlich nicht der einzige Umbau. „Sowohl die Bremsanlage als auch das Gaspedal wurden mit Servomotoren ausgestattet, um eine extreme Leichtgängigkeit herzustellen“, erläutert Prause. Das war nötig, weil Nicole Hißner wegen ihrer Krankheit zu wenig Kraft in den Beinen hat.
Das Automatikgetriebe des Wagens kann derweil per Knopfdruck bedient werden. Dazu baute Prause ein Bedienfeld in die Fahrertürarmlehne, das sich genau auf Armhöhe befindet. Auch der Zündschlüssel wird in der Armlehne in eine eigens geschaffene Vorrichtung geschoben. Danach fährt der Computer im Innern des Autos hoch, prüft, ob alle Sensoren für Bremse, Gas und Lenkung in Ordnung sind, erklärt Prause. Erst dann lässt sich der Wagen starten.
„Zudem wurden sowohl eine elektrische Handbremse als auch ein elektrischer Heckklappenöffner entwickelt und montiert“, schildert Prause. Das Fahrzeug verfügt außerdem über eine spezielle Liftplattform, damit Nicole Hißner ihren Elektro-Scooter verladen kann.
„Jetzt kann ich endlich auch alleine zum Shoppen fahren“, freut sich die 44-Jährige über die neu gewonnene Automobilität. Und wenn sie in den Wald möchte, um mit ihrem Hund Luna Gassi zu gehen, ist sie jetzt ebenfalls nicht mehr auf Hilfe angewiesen.
Neben so viel Technik in dem Auto fallen kleine Accessoires auf, die Nicole Hißner am Rückspiegel angebracht hat. Dort hängen die Kinderschuhe ihrer Kinder Lukas (17) und Zoe (8) und ein „Gottesauge“ als Glücksbringer. „Den hat meine Tochter für mich gemacht“, erzählt die Mutter stolz.
Der Glücksbringer bringt Farbe ins Innere des bundesweit wohl einmaligen Autos, mit dem Nicole Hißner nun wieder sicher unterwegs ist. Mit einem ebenfalls auf ihre Bedürfnisse umgebauten Vorgängermodell fuhr sie 340 000 Kilometer unfallfrei.